Alles fließt
Über Moje Menhardts Donaubilder​
von Wolfgang Hilger
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Jeder von uns erlebt seine Umwelt auf andere Weise, denn Sinneseindrücke sind nichts Absolutes. Von Künstlern nehmen wir wohl zurecht an, dass ihnen Schulung, Erfahrung und Kreativität zu einem erweiterten Wahrnehmungsvermögen verhelfen, das über die bloße Akzeptanz des objektiv Gesehenen und Vorhandenen hinausführt. Was wir also letztlich als Kunst erkennen, ist eben mehr als Reproduktion. Es ist die Sichtbarmachung des Möglichen innerhalb der Vorstellungswelt einer Persönlichkeit. Dies bedeutet, dass jeder Künstler stets ureigene Erfahrungen im freien Spiel der Phantasie verarbeitet, soferne er sich nicht den strengen Korsetten radikal bilderfeindlicher Konzepte unterwirft.
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Moje Menhardt benötigt für ihre Arbeit die Freiheit des assoziativen Denkens, des Sich-Erinnerns und den ständigen Veränderns. Ihre Formensprache passt sie dem jeweiligen Sujet an. Sie arbeitet in Serien, und Konzepte sind nur innerhalb eines einzelnen Themenkreises gültig. Ihr Stil ist durchaus gewollt inkonstant, und dennoch ist ihre Handschrift unverkennbar.
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Unter den Bildern der letzten Zeit verdient vor allem die Folge der Donaubilder besonderes Interesse. Sie sind gleichsam Teil einer Autobiografie und überdies die Reverenz an eine Landschaft, der sich Moje Menhardt seit ihrer Kindheit aufs engste verbunden fühlt. Ein Teil dieser Bilder ist in ihrem Freilichtatelier auf der Ruine Weitenegg am nördlichen Donauufer in Sichtweite des Stiftes Melk entstanden. Hier, von der längst unbewohnbaren, im Familienbesitz befindlichen Höhenburg aus, hat sie erfahren, wie sich die Farbe des Stromes nach Jahreszeit und Witterung veränderte. Vielleicht sind Narben in der Natur wie jene in unseren Seelen. Sie sind nur für jene erkennbar, die wissen, wie es früher gewesen ist.
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All diese Erfahrungen sind in Moje Menhardts Donaubildern präsent. Bisweilen sind es nur auf Streifen reduzierte, fast geometrisierende Kompositionen, doch dahinter verbirgt sich die Wiedergabe atmosphärischer Phänomene oder das subtile Nachempfinden von Farbstimmungen, wie sie aus der Beobachtung des Wassers oder des sich darin spiegelnden Himmels resultieren. Spiralstrukturen in manchen Arbeiten erinnern an gefährliche Strudel, wie sie vor dem Eingreifen der Kraftswerksbauer im natürlichen Gerinne der Donau vorhanden waren, und prismatische, wie auf einem Zeichenbrett entworfene Strukturen mögen wohl den Zwang der Technik symbolisieren, dem sich auch der Strom unterwerfen musste. In Schriftbildern ironisiert Moje Menhardt nicht allein den Text des Donauwalzers, sondern verweist auch auf jenen unlösbaren Konflikt von Wortbild und Abbild, der auch den vertrackten Witz zahlloser Bilder von René Magritte ausmacht.
Wir haben es mit einer sehr disziplinierten Kunst zu tun. Gewiss sind Emotionen spürbar, doch diese stehen immer unter der Kontrolle einer sensiblen Ästhetik. Moje Menhardts Bilder sind auch dann, wenn sie sich vom Naturvorbild völlig gelöst haben und sich dem nur scheinbar grenzenlosen Kosmos der Abstraktion zuwenden, von einer Stabilität und inneren Ordnung. Es scheint, als läge dem ein sehr persönlich bedingtes grundsolides Denken zugrunde, eine Charaktereigenschaft, die in der heutigen Kunst selten geworden ist. Moje Menhardt ist weit davon entfernt, bei sterilen Konzepten mit Erklärungsbedarf Zuflucht zu suchen. Sie hat uns genug mitzuteilen, und ihre Bilder ermöglichen einen stillen Dialog, der vom Betrachter die Fähigkeit voraussetzt, Empfindsamkeit zu registrieren und diese rational zu verarbeiten. Sentiment ist jedoch niemals Inhalt dieser Malerei, dafür sind die Bilder zu klar, zu einsichtig.
Moje Menhardts Donaubilder sind in ihrer Vielgestaltigkeit, die von bunten Collagen mit historischen Reminiszenzen bis zu präzise komponierten Strukturen in den Farben von Wasser, Eis oder Glas reichen, ein höchst bemerkenswertes Beispiel einer lebendigen und gültigen Malerei. Traditionen des Wiener Informels der 60er Jahre sind unverkennbar, doch diese Wurzel reicht bei weitem nicht aus, Moje Menhardts künstlerischen Pluralismus zu erklären. Sie studierte in Wien und Holland, lebte in Südamerika, Deutschland und Österreich und registrierte ihre Umwelt stets mit wachen Sinnen. Ihre Kunst ist international und doch sehr persönlich, ist koloristisch-österreichisch und diszipliniert-aufgeklärt, ist sensitiv, doch niemals sentimental.
Moje Menhardts Bilder muss man genau und lange betrachten. Es kann sein, dass der Groschen erst dann fällt, und das wird man nicht bereuen.
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